
Ein Baumdialog
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vom Mai 2019
Hey du!
Eine leise, zögerliche Stimme weckt mich aus meinem kurzen Nickerchen. Ich hatte mich von meiner Arbeit ausgeruht und war eingeschlafen. Die leichte Brise, die angenehmen über mein Gesicht streichelt, und das sanfte Rauschen der Blätter im Wind hat gut dazu beigetragen, dass mich in meiner Mittagspause der Schlaf übermannt hat.
Verzeih mir, wenn ich dich störe.
Ich schaue mich nach der Stimme um, sehe aber niemanden. In dieser überschaubaren Baumgruppe kann sich eigentlich keiner verstecken. Ich halte inne um auf die Umgebung zu horchen. Da sind keine Schritte zu hören, kein Vogelgesang, nur das stetige Rauschen der Blätter.
Naaaa, wie ist’s?
Eine andere Stimme, lebhaft und melodisch, dringt an mein Ohr.
Wir haben uns ja schon soooo lange nicht mehr gesprochen. Sag mir, wie war dein letzter Winter?
Vielleicht versteckt sich doch jemand im Wald. Vielleicht bilde ich mir das nur ein. Vielleicht träume ich noch. Ich bin aber etwas zu träge um gleich auf zu stehen, und so horche ich still weiter, was mir die Stimmen zu sagen haben.
Sehr vorsichtig und etwas eingeschüchtert meldet sich die erste Stimme wieder: Ähm, … also… Eigentlich wollte ich nur sagen… eine kurze Pause. Du hast dich etwas verändert. Ganz nett, sieht schön aus.
Ich habe mein Kopf auf den Rasen gelegt und schaue in die Baumwipfel und den darüber liegenden blauen Himmel. Eine der Baumkronen scheint sich jetzt besonders doll zu bewegen.
Ooooooh, danke! Der Gärtner war bei mir und hat ein bisschen hier und da abgeschnitten. Ein neuer Schnitt kann schon viel verändern. Und du, war der Gärtner auch bei dir?
Ah, nein. Ein Ast ist mir beim letzten Sturm ausgebrochen. Der andere hier schon vorher. Und dieser hier… ach, egal.
Es scheint, als würden sich die Bäume unterhalten. Aber wer spricht hier mit wem? Ich werde einfach weiter lauschen.
Tut mir leid.
Erzähl nicht!
Doch, wirklich.
Glaub ich nicht.
Das hat bestimmt sehr weh getan. Ich kann…
Hör auf!
Die Blätter verstummen. Ich lasse meinen Blick schweifen. Über den Bäumen ziehen nun kleine weiße Wölkchen hinweg. Und dann entdecke ich, das tatsächlich bei einer Buche ein beachtliches Loch in der Krone klafft. Das muss ein wirklich großer Ast gewesen sein. Interessant ist, ist dass sich gerade an dieser Stelle ein gar nicht so kleiner, Zweig bildet. Ziemlich sportlicher Wachstum.
Ein zurückhaltendes Entschuldigung, Ich … rauscht durch die Blätter. Nach einer kurzen Pause erwidert der andere Is ok.
Manchmal vermisse ich meinen großen Ast. Da konnten Vögel darin nisten, anderen gab er Schatten oder sie blieben stehen um seine schöne Form zu bewundern.
Wäre ich ein Kirschbaum oder ein Apfelbaum wäre das nicht so schlimm. All die ganzen Obstbäume, die so lieblich in ihrer Blütenpracht stehen. Viele Vögel und Bienen sammeln sich in ihren Ästen. Alle freuen sich solche Bäume zu sehen, sie werden gepflegt und beschützt. Wenn es ihnen schlecht geht, dann ist sofort jemand zum helfen bereit. Manchmal hätte ich auch gerne so schöne Blüten.
Ich bin auch nicht so laut, wie eine Pappel, nicht so stark wie eine Eiche. Kennst du den Spruch: „Eichen sollst du suche. Weiche nur den Buchen!“ Darum mag mich keiner. Und jetzt fehlt mir auch noch mein Ast.
Meinst du wirklich, dass du ohne Ast wertlos bist? Jeder Baum hat doch seine Bestimmung und erfüllt seine Aufgabe im Wald.
Aber was ist den bitte ein Baum ohne Ast?
Schau doch nicht auf das, was du verlierst, sondern auf das Schöne, das du hast.
Das sagst du so leicht. Ich versuche ja auf meine schönen Äste zu schauen. Doch dann kann es viel zu schnell vorkommen, dass das Wetter nicht mitspielt und dann wird der ganze Versuch in einem Sturm zerstört. Ich schließe lieber die Augen und stelle mich in einen Garten meiner Gedanken. Wo ich ein großer Baum bin, vielleicht sogar ein schöner Pfirsichbaum, inmitten von schön angelegten Blumenbeeten und Hecken. In meiner Vorstellung kann nichts kaputt gehen. Da werde ich vor Schmerzen bewahrt. Da bin ich der, der ich sein will: stark und mächtig, schön und prächtig groß und herrlich.
Ich öffne meine Augen um die Buche zu begutachten. Bis auf den fehlenden Ast sieht sie nicht so schlecht aus. Ein schöner Baum in seinen besten Jahren. Das Licht ist jetzt nicht mehr so kräftig, wie noch eben, sonst könnte man die ganze Schönheit sehen. Die Sonne hat sich hinter den Wolken versteckt. Ich werde besser meine Jacke wieder anziehen und dafür etwas Bequemlichkeiten beim Sitzen einbüßen.
Schon spricht der andere Baum weiter, wo ich immer noch nicht genau weiß welcher das sein mag.
Das ist dir schon öfter so passiert, dass du verlierst, was du aufbauen wolltest?
Du bist noch gar nicht so lange hier im Wald. Lass mich dir etwas von meiner Geschichte erzählen.
Als hier alles noch junge Bäume waren, stand ich mitten unter diesen. Rechts von mir eine Eiche. Wenn auch noch jung, schon höher gewachsen und viel stabiler und kräftiger als ich. Auf meiner linken Seite hatte ich eine Pappel. Kaum hatte diese Blätter, war sie andauernd am lärmen. Daneben ein Kirschbaum mit den schönsten Blüten. Und dann gab es noch diesen jungen Nussbaum, ein Sprössling, der besonders viel Hilfe bedarf. Alle hatten ihre Besonderheiten, nur ich war eine normale Buche. Da war nichts, was mich unter den anderen hervorgehoben hätte.
Es ist doch nett zwischen so vielen verschiedenen Bäumen auf zu wachsen. Jeder hat seine Vorzüge und man kann sich gegenseitig helfen.
Man könnte…
Es wäre nett, wenn man täte.
Aber als wir älter wurden, gab es viele Tiere, die mir das Wachstum schwer machten. Ich hatte mehr mit dem Ungeziefer zu tun, als andere. Dann sah ich, dass es etwas gibt, wofür mich die anderen Bäume lobten: ich beklage mich nicht und bin immer freundlich. Dieses Bild aufrecht zu erhalten ging, wenn auch unter Anstrengung. Dazu aber die Rehe, die an meiner Rinde kratzen und die Käfer, die sich in mein Holz fressen, das machte mir schon sehr zu schaffen. Nur darf ich mich nicht beklagen.
Ich setzte mich wieder aufrecht um nach der Buche zu schauen. Wenn es diese ist, die redet, und momentan sehe ich keine andere Buche, dann sieht sie gar nicht so schlimm aus, wie sie beschreibt. Aber sie sagt ja auch, nach außen hin ein gutes Gesicht, oder eher eine gute Rinde bewahren.
Derweil hat sich des Himmels schon ganz schön zugezogen und es fängt an zu tropfen. Zum Glück geben die Bäume hier ein gutes Dach gegen den Regen. Das ist sicher nicht einen einzelnen Baum zu verdanken, sondern ein Werk der Gemeinschaft. Da wird auch das Loch des fehlendes Astes gut ausgeglichen.
Schau, es regnet. Und wie immer ist es vorne die große Eiche, die am meisten vom Wasser abbekommt. Manchmal möchte ich auch in erster Reihe stehen, der viele Wind, die Wärme der Sonne und von weiten gesehen werden, das wäre toll. Ich glaube von all dem bekomme ich zu wenig. Es ging mir bestimmt besser hätte ich das alles. Die Eiche steht vorne und bekommt von allem genug. Der kleine Nussbaum wurde gegossen, wenn es sehr warm war. Der Kirschbaum wurde auch immer gepflegt, weil ein Obstbaum etwas besonderes ist. Aber ich musste schon immer mit dem wenigen auskommen, was ich habe. Ich meine, ich komme zurecht, aber schwer ist es trotzdem und manchmal schmerzlich.
Eigentlich haben es Bäume in den Alter nicht mehr nötig, aber vielleicht sollte ich beim nächsten Besuch, hier im Wald, ein Eimer Wasser mitnehmen. „Wenn du vorbei gehst, grüß mich mal. Wenn es trocken ist, gieß mich mal. …“ Heißt es in einem Lied. Jetzt, wo es regnet, werde ich mich erstmal an den Stamm der Buche lehnen. Da sollte ich trockener bleiben.
Es macht mich auch etwas traurig, deine Geschichte zu hören. Aber weißt du, ich bin auch durch viele Schwierigkeiten gegangen. Doch mit der Zeit habe ich gelernt, auf das schöne zu schauen, mich an den kleinen Dingen zu freuen und an das zu denken, was noch werden kann. Versuch du das doch auch einmal!
Eine Pause in der das Tropfen des Regens das Rauschen der Blätter übertönt. Auch ich verweile in Gedanken.
Durchaus weise Worte, bestimmt die eines alten Baumes. Aber beim Umschauen kann ich keinen sonderlich alten Baum entdecken. Alle hier sind tendenziell jung, gut gewachsen und keine Sprösslinge mehr, aber auch nicht alt.
Danke. Kommt es wieder etwas zögerlich von der Buche.
Weißt du, dafür mag ich die Obstbäume besonders. Sie reden nicht so hart, sondern haben immer etwas süßes in ihren Worten. Die Eichen sagen: „Stark musst du sein!“ Die Kiefern sagen: „Wurzle tiefer!“ Die Weiden sagen: „Sei flexibel!“ Doch bei dir habe ich den Eindruck, dass du mich verstehst. Es ist echt was besonderes mit dir zu reden. Ich kann mich nicht daran erinnern schon einmal so gut mit jemand gesprochen zu haben. Das liegt sicherlich auch daran, dass ich bisher einfach vermieden habe zu reden, weil ich nicht solche positive Reaktion erwartet habe.
Nach einer kurzen Pause fügt er noch hinzu:
Danke. Wenn ich könnte, würde ich dich umarmen.
Danke nicht mir dafür. Ich tue auch nur was ich kann. Weil ich weiß, dass sich jemand um mich kümmert, kann ich mich um andere kümmern und dabei lerne ich auch noch so viel.
Du meinst den Gärtner, den du am Anfang erwähnt hast? Ich hatte ihn schon einmal gesehen, aber noch nie so richtig als Hilfe genommen. Ja, er kommt manchmal hier vorbei, aber hilft er mir auch?
Mehr, als du denkst. Mehr als ich verstehen kann. Achte doch einmal auf die kleinen Dinge, die er dir zukommen lässt. Sprich ihn an, wenn er wieder vorbei kommt. Du wirst sehen, auch dir kann und wird er viel Gutes tun.
Den Bäumen hier scheint es mit den Gärtner richtig gut zu gehen. Jedenfalls, wenn man diesen zweiten Baum traut. Es würde sich tatsächlich auch für mich lohnen diesen Gärtner zu finden. Ob er mit den Bäumen reden kann? Wenn der Regen vorbei ist könnte ich mich gleich auf die Suche machen. Ein paar Fragen habe ich ja selber noch.
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