Woher kommt Trost?

Woher kommt Trost?

Titelbild von pixabay.com

Es ist ein schöner Sommermorgen. Wenn die Sonne durch das Fenster scheint und ich mit dem Singen der Vögel aufwache, dann ist ein guter Tag geboren. Einen Moment verharren ich im Bett um für all die guten Dinge zu danken und meinen Tag auf das Wesentliche aus zu richten. Wenn der Morgen so beginnt, dann kann ihn kaum etwas erschüttern.
Ich bin glücklich.
Ich fühle mich geborgen.

Nach meiner Morgenroutine mache ich mich an die Arbeit. Die Schenke unten muss vorbereitet werden für die ersten Gäste, die normalerweise zum Mittagessen kommen. Bis dahin ist etwas sauber zu machen, die Tische zurecht rücken, die Vorräte aus den Keller holen, und anfangen das erste Essen zu machen. Heute wird es eine Bohnensuppe und diese braucht einiges an Zeit auf dem Feuer. Nur gut, dass ich die Bohnen schon über Nacht eingeweicht habe. Das ist wichtig, damit die ungewünschten Zuckerstoffe reduziert werden, die im Darm nicht abgebaut werden können. Die eingeweichten Bohnen müssen trotzdem noch für etwa eine Stunde im neuen Wasser gekocht werden. Erst zum Ende kommen Knoblauch, Paprika, Tomaten und die anderen Gewürze dazu. Diese Suppe ist einer meiner Lieblingsspeisen. Sie ist schmackhaft-würzig und hat viele gute Inhaltsstoffe.

Wie ich so beim Zubereiten bin, und nebenbei in einem Buch lese, was mit den Zutaten auf dem Tisch liegt, werde ich aus meinem Gedanken gerissen, als plötzlich die Tür meiner Schenke aufschwingt. Hinein kommt Sindy, die kleine Tochter von Peters. Ich mag es wenn die Kinder zu mir kommen. Manchmal kommen sie um in den Büchern zu stöbern, um an warmen Tagen ein kühles Wasser zu bekommen oder auch um hier am Tisch ihre Schulaufgaben zu machen. Dabei nutze ich die Gelegenheit um ihnen das Kochen zu zeigen und mit ihnen zu plaudern. Kinder haben immer so viel zu erzählen. Das ist schön, auch wenn die alten Griechen dies wesentlich anders sahen.

Da ist sie nun, die kleine Sindy, steht in der Tür und schaut sich um. Ich begrüße sie freundlich und biete ihr einen Stuhl an meinem Tisch an. Wie sie sich setzt frage ich, wieso sie nicht in der Schule sei und erfahre durch ihrer Antwort, dass doch Ferien seien. Natürlich, das hatte ich ganz vergessen. Und da sie nun ohne Schulaufgaben da sitzt biete ich ihr an etwas beim Schneiden zu helfen.

So sitzen wir beide am Küchentisch, schneiden Gemüse und sprechen etwas über Schule, Freunde, Reisen und Familie. Ab und zu muss ich ihr helfen oder die großen Stücke noch einmal schneiden. Aber wie hat mein Vater schon damals gesagt: „Ohne Hilfe geht’s besser, aber Hilfe muss sein.“ Ich würde dem aber entgegen setzen: „Zu zweit ist es immer ein Gewinn. Wenn nicht Zeit, dann Freundschaft.“ Es ist mir wichtig Zeit mit den Kindern zu verbringen. Da lasse ich auch manchmal die Arbeit etwas ruhen.
Dann fällt mir auf, dass sie etwas traurig scheint. Die Zwiebeln und der Knoblauch ist schon von Tisch, daran kann es nicht liegen. Also frage ich vorsichtig, was es denn sei, was sie so traurig macht.
Sie antwortet nicht, blickt nur auf ihr Gemüse runter. Ich lege mein Messer zur Seite und rücke etwas näher zu ihr. Nein, geschnitten hat sie sich nicht und das Gemüse ist auch nicht falsch.
Ich lege meinen Arm um ihre Schulter und Frage erneut, was ihr Kummer bereitet.
Nach einem Schluchztem kommt etwas zittern die Antwort. Sie erzählt, dass sie sich am Morgen mit ihren Bruder gestritten habe, wer zuerst mit Wolfi spazieren gehen könne. Dann hätte Rick gesagt, sie solle weggehen und nie wieder kommen.
Das klingt nach einer traurigen Geschichte. Ich habe mich in meiner Kindheit auch oft mit meinen Geschwistern gestritten und manchmal wurden achtlos Dinge gesagt, die sehr verletzend sein können. Aber ich weiß auch, dass solche Dinge meist bald wieder vergessen sind, besonders wenn mich Mutti in den Arm nahm und getröstet hat. Nun bin es aber ich, der in der Position des Tröstens ist, also versuche ich mein Bestes.
Während sie also schluchzend in meinem Arm liegt sage ich etwas von ‚ist nicht so schlimm‘, ‚war nicht so gemeint‘ oder ‚vertragt euch doch wieder‘, um sie zu trösten. Aber auch wenn ich durchaus die Wahrheit sagen, scheint sie mir zu widersprechen oder nicht zu glauben, denn ihre Trauer wirkt unverändert. So bleiben meine Versuche ohne Erfolg. Auch auf meinem Vorschlag hin, sie könne doch zurück gehen und sich wieder vertragen, wird nur erneut der Bruder zitiert. Es wäre doch so einfach wieder glücklich zu sein. Aber meine Hilfe stößt auf wenig Resonanz. Vielleicht ist es aber auch ganz gut sich einfach auszuweinen, bis die Trauer raus ist. Das scheint in dieser Situation aber etwas länger als erwartet. Manchmal hilft es auch sich einfach abzulenken. Mein Mittagessen ist dafür wohl nicht die richtige Beschäftigung.
So geht das eine ganze Weile, vermutlich weniger als es uns vorkommen mag.
Schließlich geht die Tür meiner Schenke erneut auf und hinein kommt Maja, die Mutter von Sindy. Sorgenvoll blickt sie auf ihre Tochter. Ihre Stimme ist auch voller Mitleid, als sie sagt wie sehr sie vermisst wurde. Die innige Liebe einer Mutter kommt deutlich zum Vorschein, als sich beide weinend in den Armen liegen. Nachdem ein paar Momente vergangen sind und Sindy noch schluchzend in den Armen von Maja liegt, sagt sie etwas von ‚ist nicht so schlimm‘, ‚war nicht so gemeint‘ oder ‚vertragt euch doch wieder‘, um sie zu trösten. Das sind fast meine eigenen Worte vor 5 Minuten, das wird wohl nicht reichen. Es hat ja vor mir auch nicht den Schmerz gelindert. Doch zu meinen Erstaunen hört Sindy auf zu schluchzen und schaut erwartungsvoll mit ihren verweinten Augen in das Gesicht ihrer Mutter. Diese wischt ihrer Tochter die Tränen von den Wangen und schlägt dann vor nach Hause zu gehen und die Sache in Ordnung zu bringen. Und tatsächlich stimmt das Mädchen dem Vorschlag zu, wo sie noch vor kurzem meinte nie wieder nach Hause zu wollen.
Nachdem sich Maja bei mir bedankt hat und beide den Schankraum verlassen blicke ich ihnen verblüfft nach. Ja, ich bin glücklich über den Ausgang dieser Situation, aber zugleich verwirrt. Wie können genau die gleichen Worte in der gleichen Situation ein anderes Ergebnis erzielen? Das einzige was anders war ist die sprechende Person. Es scheint nicht nur wichtig was wir wann wie sagen, sondern auch von wem die Worte kommen. Welche Beziehung habe ich zu der sprechenden Person?

Ich erinnere mich an die Trockenheit im letzten Jahr. Unser Bürgermeister hat sehr zeitig reagiert und gemeint, er werde alles nötige unternehmen, dass seinen Untertanen nichts passieren würde. Nachdem es dann zu Ernteausfällen und Bränden kam, Walter sein Haus am Wald und Jochen ein Teil seiner Schafherde durch das Feuer verloren hatten, ist der Fürst eingeschritten und hat im Prinzip das gleiche gesagt. Doch im Gegensatz zum Bürgermeister hat dieser gleich ein paar Truppen geschickt neue Brunnen und Wasserkanäle zu graben. Ja selbst die sonst üppige Feier zu seinem Jahrestag ging minder aus um Geldmittel zur Hilfe geben zu können. Deswegen mag ich unseren Fürsten. Er macht etwas. Er hält sein Wort. Ihn kann ich vertrauen. Wenn er sagt, ‚es wird alles gut‘, dann werde ich von Zuversicht erfüllt.

Wenn ich also ein Defizit habe und dieses beweine, dann können mir die Leute sagen was sie wollen. Effektiv trösten und neuen Mut zusprechen kann mir nur der, dem ich vertraue. Das mag jemand anderes für unterschiedliche Bereiche meines Lebens sein, aber die Frage, die über den Erfolg entscheidet ist: Vertraue ich dieser Person? Hat sie genug Feingefühl und Fachwissen um eine Lösung zu finden? Glaube ich dass sie fähig ist ihr Versprechen ‚es wird alles gut‘ zu halten?

Von wem lässt du dich trösten?

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